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Ein paar Worte zum Buch von Ray Brooks über sein Leben mit der ZEN-Shakuhachi
Über ein Buch, das ein Lesen nicht lohnt, sollte man nicht schreiben. Über eines, das sich zu lesen lohnt,
genügte die Angabe des Titels. Denn wenn ein anderer etwas über ein Buch schreibt, dann erübrigt es sich für mich nicht, dieses selbst zu lesen. Was also mache ich hier? Wie dem auch sei, die Lektüre des Buches lohnt
sich. Das ist mein Fazit nach dem Lesen des Buches. Vielleicht also ausleihen oder kaufen (DM 34,-). Das Buch liest sich locker und flüssig und ist stellenweise recht fesselnd. Zunächst fiel mir das Titelbild auf,
das eine Konzert-Shakuhachi zeigt. Denn deutlich ist die zweiteilbare Flöte mit dem eingesetzten Mundstück zu erkennen. Das Bild steht im Widerspruch zum Titel, der von der ZEN-Shakuhachi spricht. Aber das ist
sicherlich nichts weiter als ein Problem des deutschen Verlages, dachte ich zu Anfang. Erst als ich auf einer der letzten Buchseiten las "Ich packte meine Flöte aus, fügte die beiden Teile zusammen, richtete
sorgfältig die Löcher aus und blies zum Aufwärmen ein paar Töne, ..." (S. 257) kamen anfängliche Zweifel zurück. Über längere Passagen bleibt unklar inwieweit es sich im Verlaufe des Buches um die ursprüngliche,
in der Art von Ikkei N.Hanada Sensei hergestellten, ZEN-Shakuhachi handelt, ohne Mundstück und nicht teilbar, also Eins im wahren Sinn. Nur bei einem Meister, im Buch Sasaki-sensei genannt, ist klar: Zen-Shakuhachi
heißt: "den Bambus ausgraben, ablagern, bohren, feilen und spielen - nicht mehr." Aber dennoch wird im Text für mich auch an anderen Stellen der Geist der echten Shakuhachi spürbar. Das Buch ist eine
Mischung aus Rückblick (Bemerkungen über das frühere Leben in London), Tagebuch und Beschreibung des Lebens in Japan sowie Indien und Schilderung der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Shakuhachi und das Wachsen
an ihr. Sehr lebendig schildert Ray Brooks, im Buch stets Ray-san genannt, seine Begegnung mit der Shakuhachi. Seine Entwicklungen mit der Shakuhachi lesen sich im Buch wie in einem Zeitraffer. Immerhin vergehen
mehrere Jahre in der Hingabe an die Shakuhachi, die er zusammen mit seiner Frau in Japan verbringt. Während eines ZEN Wochenendes begegnet er zum ersten Mal diesem Instrument. Seine Frau schenkt ihm daraufhin eine
Plastik-Shakuhachi, auf der er zu üben beginnt - die Japanische Nationalhymne. Die Plastikflöte möchte er bald eintauschen in eine echte Bambus-Shakuhachi. In einem Spezialladen namens "Mejiro" in Tokyo
entscheidet er sich aufgrund der hohen Preise der Bambusflöten für eine aus Holz gedrechselte "Anfänger-Shakuhachi". Rasch entwickelt sich sein Weg. Es wird ihm erlaubt im Gelände des Arai-Yakushi Tempels
zu üben. Er übt vier Wochen täglich, bis er für sich feststellt: "Ich brauche eindeutig einen Lehrer". Er lernt einen alten Komuso-Mönch auf der Halbinsel Izu kennen. Dieser legt ihm dar: "Die Shakuhachi
ist kein Instrument, das man so nebenbei mal zum Zeitvertreib spielt. Man braucht unendliche Geduld und viel Geistesgegenwart, um sie zu lernen. ... die Shakuhachi ist mir ein großartiger Lehrer und manchmal ein
gnadenloser Spiegel gewesen." Und er gab ihm noch einen Rat: "Verwässern Sie die Schönheit des Lernens nicht durch das Haften an Zielen". Bei diesem Ota-san lauscht er einem Honkyoku, einem Stück in
seiner ursprünglichen Spielweise (das Stück "Ajikan" soviel wie "Alles ist Leere - Leere ist Form"). Ein "Shakuhachi-Meister spielt von der Leere her und schafft Form".
"Honkyoku-Stücke sind einfach Musik, bis man sie beherrscht, dann werden sie Suizen". In Yamada-san findet er einen ersten Lehrer. Nach neun Monaten täglichen Übens schenkt ihm dieser eine
"Lack-Shakuhachi" (innen rot lackierte Konzert-Shakuhachi) und empfiehlt ihn weiter an einen neuen Lehrer, um dort die traditionelle Spielweise besser zu lernen. Sein zweiter Lehrer, Sasaki-sensei, hält
nun garnichts von Lackflöten. Er hat sein Herz dem reinen Bambus geschenkt. "Alle meine Flöten sind miteinander verwandt, da sie aus demselben Hain von Madake-Bambus stammen. Jeder Hain ist ein einziger Organismus,
und alle Pflanzen sind unterirdisch durch ein weitverzweigtes Netz von Kapillaren verbunden". Das beeindruckte mich und brachte mir eine weitere Art der Verbundenheit unter Shakuhachi-Schülern und dem Meister
zu Bewußtsein. Ray-san`s Üben und seine Gespräche mit seinen Lehrern konfrontieren ihn auch mit ZEN-Meistern wie Bassui, Ikkyu, Bankei, Basho und Ryokan. Eineinhalb Jahre später, wie stets sitzt er zum Üben in dem
Tempelbereich, kommt es zu einem Kontakt mit dem Präsidenten der Shakuhachi-Gesellschaft, Katsuya Yokoyama (Name im Buch) - ein Vertreter der "Lack-Shakuhachi" wie Sasaki-sensei kommentiert. Bald darauf
wird er nun dessen Schüler. Eines ist Ray-san von Anfang an zuzuschreiben: er ist vom Klang der Shakuhachi gefangen und der Ton läßt ihn nicht mehr los. Er übt mit großem Einsatz. Irgendwann beginnt er auf der Straße
zu spielen und verdient sich Geld damit. Er erreicht es, ein Visum für Kulturschaffende zu erhalten. Später legt er sich ein sechzig Tage dauerndes Shugyo auf (spirituelle Übung, tiefe gesammelte Disziplin und
Entwicklung des Ki). Dann lernt er einen weiteren Meister, Akikuza Nakamura genannt, kennen, bei dem er nun lernt und mit dem er schlußendlich zu Konzerten antreten darf. Sein Weg mit der Shakuhachi führt ihn zu
verschiedenen Erfahrungen und Meistern und verändert sein Leben von Grund auf. Der Leser erfährt auch, daß die Shakuhachi vermutlich vom nahen Osten über China nach Japan gelangte und heute von jungen Japanern als
"furukusai", soviel wie muffig oder alt riechend angesehen wird und nur noch sehr wenige der Tradition folgen. So schließt sich heute der Kreis, denn der Bambus wandert wieder nach Westen. Auch ein paar
Worte über die "Komuso" (Mönche des Nichts und der Leere) der Fuke-Schule finden sich. Für mich blieb etwas unklar: es wird beschrieben, daß die Fuke-Sekte vor über Hundert Jahren aufgelöst wurde. Dies paßt
zusammen mit der Aussage eines japanischen Shakuhachi-Spielers, den ich vor drei Jahren kennenlernte und mir sagte: "Shakuhachi in der traditionellen Art - in einem Stück, ohne Mundstück und innen nicht
lackiert, die gäbe es schon seit Hundert Jahren nicht mehr." Heißt das, daß auch Japanern, die selbst die Shakuhachi spielen und Konzerte geben, kaum oder nichts bekannt ist von der Existenz des „einzigen in Japan
existierenden Zen-Shakuhachi Tempels ITCHOKEN“? Das "Suizen", das Zen-meditierende Blasen der Bambusflöte, wird im Verlaufe des Buches durch verschiedene Schilderungen mit lebendigem Inhalt gefüllt. Es wird
deutlich, daß die Shakuhachi ein religiöses aber auch ein konzertantes Instrument ist. Dreizehn Shakuhachi-Stücke werden mit Namen erwähnt und im Text bzw. einer kleinen Liste am Ende des Buches beschrieben. Ganz
nebenbei lernt der Leser eine ganze Menge verschiedener Kleinigkeiten über die japanische Lebensart, die Ray-san begegnete und auch ein paar Worte Japanisch (auch dazu gibt es am Buchende eine kleine Vokabelliste). So
unter anderem das unvermeidbare "Gambatte", ein Anfeuerungs- und Motivationsausspruch mit der Bedeutung: "Übe, übe, übe! Übe fleißig! Häng Dich rein! Tu es mit vollem Einsatz! Gib Dein Bestes! Gib nie
auf! Halte durch!" Dabei fällt mir ein: Vielleicht hätte ich eher Shakuhachi üben sollen statt dieses Buch zu lesen?! Ich bin ein Mensch, der noch immer zu sehr im Kopf lebt und spüre, daß ich noch weit entfernt
bin von der inneren Klarheit und der geradlinigen Konsequenz, die meine Shakuhachi von mir erwartet. Das Buch aber war für mich dennoch eine wertvolle Lektüre, die ich weiterempfehlen möchte. Viel Spaß beim Lesen.
Daten zum Buch: von Ray Brooks, "Ich ging den Weg der Zen-Flöte" - Eine spirituelle und künstlerische Autobiographie, Ansata Verlag, 2000, rd. 271 Seiten geb., 34,- DM, ISBN 3-7787-7160-4 Berthold Mertz
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